Ich habe nicht studiert, doch war ich früh im Berufsleben und sammelte Erfahrungen, getrieben von Ehrgeiz und Lernwillen, bereit Verantwortung zu übernehmen. Viele machen heute Abitur zwischen 17 – 19 Jahren und sind schon mit Anfang 20 fertig mit ihrem Bachelor, wieder andere studieren dual und kombinieren theoretisches und praktisches Wissen. Unsere Zeit bietet endlose Möglichkeiten, sich Wissen anzueignen und die eigene Persönlichkeit zu formen. Auch die Persönlichkeitsentwicklung nimmt bei jüngeren Menschen einen immer größeren Platz ein. So werden nicht nur viele Weiterbildungen in Fachbereichen besucht. Softskills, Einstellungen und Sichtweisen in Seminaren zu erweitern, liegt absolut im Trend.
Doch begegne ich auch erfahrenen Führungskräften, die sich auf alten Lorbeeren ausruhen. Sie vermitteln den Eindruck, dass lebenslanges Lernen nicht in ihrem Vokabular steht. Meine Fachfragen aus ihrem Bereich konnten nicht zufriedenstellend beantwortet werden. So viel zum Aufbau von Fähigkeiten und Fachwissen.
Auf meinem Weg in der HR habe ich oft mit Entscheidern diskutieren müssen, warum Fach- und Führungsstellen nicht mit jungen Kandidatinnen und Kandidaten besetzt wurden, obwohl diese im Vorstellungsgespräch, im Assessmentcenter oder im bestehenden Job mega überzeugt haben. Oft wurde dann gesagt, dass sie zu viel verdienen wollen für ihr Alter… ähm ja! Wer den Job qualitativ macht, Ergebnisse erzielt und die Expertise mitbringt, will dafür auch entsprechend bezahlt werden! Oder die Aussage war schlichtweg, die:der Kandidatin:Kandidat ist zu jung… Zu jung wofür? Um Leistung zu bringen, um sich einzubringen, um sich zu entwickeln, um ihre:seine Fachexpertise einzubringen?
Dann ist da ja auch noch der Charakter und die Persönlichkeitsmerkmale, die zu einem Job passen sollten. Kennt ihr diese Menschen, die mit 50 top modern sind, mit denen man ausgeht, tanzt, feiert und es ist einfach ein guter Abend. Oder ist euch im beruflichen Umfeld schon einmal eine Fachkraft begegnet, die nach den heutigen Maßstäben „zum alten Eisen“ gehört, aber gar nicht so wirkt?
Bei einer meiner Weiterbildungen hatte ich einen Dozenten, er war so um die 70 Jahre alt, ein alter deutscher, weißer Mann. Er glänzte nicht nur mit topaktuellem Fachwissen, seine Lernmethoden waren jung und agil, man konnte ihm unfassbar gut folgen und am Ende war ich mir sicher, dass das einer der innovativsten HR’ler war, die ich bisher getroffen hatte. Zudem war er extrem gut ausgebildet, brachte sehr hohes fachliches Know-how mit, einen unfassbaren Erfahrungsschatz und eine ruhige Ausstrahlung, als ob ihn nichts mehr schocken könnte. Fachkräfte über 50 Jahre, die ihren Job, ihre Tätigkeit und das Umfeld einfach wirklich lieben und Spaß daran haben, sich stetig zu entwickeln und voller Energie neue Dinge anzugehen, sind heute nicht selten.
Und dennoch habe ich auch hier immer wieder für Bewerber:innen kämpfen müssen, weil davon ausgegangen wird, dass sie ein „altes Mindset“ haben, sie unmodern sind und/oder nicht mit Technik umgehen können.
Erst ist man zu jung, um Karriere zu machen und „zu grün hinter den Ohren“, dann zwischen 25 – Ende 40 könnte man ja schwanger werden und deshalb wird man besser nicht befördert und danach ist man entweder zu alt oder die Allgemeinheit meint, man sollte sich lieber auf die Mutterrolle konzentrieren. Und verantwortungsvolle Positionen in Teilzeit… Fehlanzeige! – Ach und als kleine Nebenanekdote: Wenn man als Frau überzeugend keine Kinder möchte, dann hat man doch oft „Haare auf den Zähnen“ oder man hört hinter vorgehaltener Hand „Mit der stimmt doch was nicht.“ –
Ich frage mich immer häufiger… Gibt es eigentlich einen Zeitraum dazwischen? Und wo ist dieser definiert? Ist man beispielsweise zwischen 32 und 39 alt genug, um als Experte zu gelten und jung genug, um „den neuesten Shit“ zu kennen? Machen sich Entscheider darüber Gedanken, oder geht es letztendlich darum, deren Weltbild zu erfüllen?
Mein Plädoyer:
Vielleicht sollten wir uns nicht nur frei machen von geschlechterspezifischen Jobs, sondern eben auch von altersspezifischen Jobs. Lasst uns doch offen in den Prozess gehen, Menschen mit echter Expertise, dem richtigen Mindset und den passenden Softskills einzustellen! Dazu empfehle ich jedem Unternehmen, Kandidatinnen und Kandidaten nicht anhand des Lebenslaufs auszusuchen, sondern sich eine Vielzahl an Bewerberinnen und Bewerbern anzuschauen. Menschen im Gespräch kennenzulernen und später einfach die beste Person für die Tätigkeit einzustellen.
Fazit:
Es ist an der Zeit, die Alterseinstufung auf den Kopf zu stellen und Kompetenz, Leidenschaft und Anpassungsfähigkeit in den Vordergrund zu rücken. Wir dürfen die Potenziale von Menschen nicht durch das Prisma ihres Geburtsjahres betrachten. Lasst uns gemeinsam für eine Arbeitswelt kämpfen, in der Erfahrung genauso zählt wie frischer Elan.
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